30. August 2012 | Kultur, Musik
Auf Tour, um Neues zu entwickeln
„Giant Sand“ – das ist eine Band, die bereits seit 1983 existiert. Die Bandmitglieder wechselten innerhalb der letzten 30 Jahre häufiger, der aus Arizona stammende Howe Gelb ist als der Kopf der Band jedoch von Anfang an dabei. Letztes Jahr kamen erneut neue Musiker hinzu, weshalb sich „Giant Sand“ mit seinen mittlerweile 10 bis 12 Mitgliedern in „Giant Giant Sand“ umbenannte.
„Giant Giant Sand“ waren am 17. August in der Kulturarena zu Gast, kurz vor dem Konzert hatte Stadtmagazin 07 die Gelegenheit, der Musiklegende Howe Gelb höchstpersönlich gegenüberzutreten. Er wirkte ein wenig müde – die Band war gerade erst aus München angekommen – dennoch sehr freundlich und entspannt. Wir setzten uns in einen ruhigen Raum und Howe Gelb begann zu erzählen, mit strahlenden Augen, die offensichtlich viel erlebt und zu sagen haben.
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Hier in der Kulturarena trittst Du mit Deiner Band „Giant Giant Sand“ auf. Du spielst bzw. spieltest jedoch auch in zahlreichen anderen Bands wie „Band Of Blacky Ranchette“ oder „OP8“ und hast außerdem viele Alben unter deinem eigenen Namen veröffentlicht. Kannst Du dich noch an Deine musikalischen Anfänge erinnern?
Howe Gelb: „Band Of Blacky Ranchette“ war die erste Band, mit der ich ein Album veröffentlicht habe. Das war 1985. Der Name der Band sollte deutlich machen, dass die Musik etwas mit Country-Musik zu tun hat und zwar mit einem sehr klaren Country. „Giant Sand“ gab es zwar bereits vorher, aber es hat länger gedauert, bis unser erstes Album herauskam. „OP8“ entstand zu einem Zeitpunkt, als wir etwas Neues machen wollten – wie ganz am Anfang „REM“ oder „U2“ – waren wir „OP8“. Wir waren zu viert, mit den zu dem Zeitpunkt neusten Mitgliedern von „Giant Sand“ John Convertino und Joey Burns sowie zusätzlich der Musikerin Lisa Germania.
Nimmst Du die unterschiedlichen Bands als Möglichkeit unterschiedliche Seiten von Dir zu zeigen, bzw. auszuleben?
Howe Gelb: Ich denke, dass es immer von der Band abhängt und alles nur gemeinsam mit den Leuten in der Band geschehen kann. Die Mitglieder von „Giant Sand“ haben öfter gewechselt, die Band selbst aber blieb für viele, viele Jahre bestehen.
Bei meiner Solo-Musik bin ich komplett frei. Ich mache was und mit wem ich möchte. Vor allem wenn ich alleine unterwegs bin, treffe ich auf viele Musiker. Ich weiß und spüre sofort, wenn eine bestimmte Verbindung da ist. So ist auch die letzte Platte mit dem Flamenco-Gitarristen und dem kanadischen Gospelchor entstanden. Ich plane nie, vieles entsteht einfach durch Zufall. Als ich noch jünger war, änderte ich unsere Songs fast jeden Abend. Wir haben die Songs nie genauso gespielt, wie wir sie aufgenommen haben. Die meisten Bands fangen damit an, ihr fertiges Album zu promoten und reflektieren es während der Tour. Bei mir ist das anders: Wenn ich ein Album im Studio aufnehme, bedeutet es für mich das Ende des Albums. Dann muss etwas Neues passieren. Also beginne ich die Songs des nächsten Albums zu spielen. Das verwirrt natürlich einige Leute…
Deswegen bringst Du so viele Alben heraus?
Howe Gelb: Ja, ich mache es anders – rückwärts. Ich toure, um etwas Neues zu entwickeln anstatt etwas Altes zu promoten. Allerdings jetzt, wo ich älter werde, fange ich allmählich an, einen Gang zurückzuschalten und spiele vermehrt die Songs, die aktuell auf dem neusten Album sind.
Welche Bedeutung hat euer Name „Giant Sand“ bzw. „Giant Giant Sand“?
Howe Gelb: Es ist ein Hinweis auf den Sound unserer Musik. Ein großer Stein, also ein richtiger Brocken, ändert täglich seine Form aufgrund der natürlichen Gegebenheiten. Durch die kleinen Stückchen, die abfallen, entsteht Sand. So betrachte ich auch unsere Musik: Sie ändert ihre Form täglich – wie natürliche Erosion. Die Beschreibung unserer Musik ist also versteckt in dem Namen.
Deine Musik wird unter anderem als passender Soundtrack zu Arizonas Wüstenlandschaft beschrieben. Lässt Du dich beim Schreiben von dieser inspirieren?
Howe Gelb: Es könnte sein. Aber nicht absichtlich. Etwas, das ich in all den Jahren auf unseren Europa-Tourneen mit „Giant Sand“ gelernt habe ist, dass die Leute das Gefühl der Sonne vermittelt bekommen wollen – wie ein importiertes Bier. (lacht) „Calexico“ zum Beispiel haben in gewisser Art und Weise gelernt ihr Kapital daraus zu schlagen. Ich glaube, dass sie versucht haben, einen Sound zu kreieren, der die Bewohner Arizonas repräsentieren sollte. Bei mir ist es so, dass mich die Wüste bzw. die Gegend unterbewusst sehr stark in meinem Denken beeinflusst. Es ist angenehm dort zu sein – so weit und offen, aber es ist auch hart. Das Wetter bestraft die Umgebung jeden Tag und ändert sich ständig. In Bezug zu meiner Musik ergibt das für mich Sinn, aber nicht auf die offensichtliche Art und Weise – nicht gewollt und bewusst wie etwa in einem Film.
Die neuen Mitglieder bei „Giant Giant Sand“ Jon Villa, Brian Lopez und Gabriel Sullivan bringen auch ihre eigene Kultur mit – ihren eigenen Sound. Auf eine bestimmt Art beeinflusst es immer die Musik und ändert sie. Zum Beispiel spielen wir auch Cumbia – Brian hat es in die Band gebracht.
Du lebst mittlerweile seit 40 Jahren in Arizona, unter dem Jahr auch für einige Monate in Dänemark. Was für einen Stellenwert hat Dein Zuhause in Arizona für Dich und wie wichtig ist es Dir auf der anderen Seite unterwegs zu sein?
Howe Gelb: Ich habe nie in Dänemark gelebt, ich war dort immer nur zu Besuch, manchmal jedoch mehrere Monate. Ich habe dort meine Frau kennengelernt und eines meiner drei Kinder wurde dort geboren. In dem Jahr, als es geboren wurde, habe ich angefangen, mit der dänischen Band zusammen Musik zu machen. Meine alte Band war zu dieser Zeit sehr beschäftigt mit ihrer neuen Band, die sie gerade gegründet hatten – „Calexico“…
Aber das Zuhause und das Touren mit der Band sind wie zwei unterschiedliche Leben, die du zur gleichen Zeit führst. Wenn du zu Hause bist, fühlt es sich so an, als würde dieses Leben nicht existieren. Du vermisst die Band, aber sie hat eine eigene Welt und du gewöhnst dich daran.
Ursprünglich komme ich allerdings nicht aus Arizona, sondern wurde in Pennsylvania geboren. Nach einer großen Flut, durch die unser Haus und Stadtteil zerstört wurde, bin ich mit 15 zu meinem Vater nach Arizona gezogen. Es war so, als gehörte ich nirgendwo so richtig hin. Und es fühlte sich gut an, nicht irgendjemand Bestimmtes zu sein. Ich lebte eine Zeit lang in New York City, in New Mexico, Los Angeles und in verschiedenen Wüsten im Süd-Westen der USA. Schließlich auch ein paar Monate in Dänemark. Und irgendwie habe ich es geschafft, eine Familie zu haben – ich weiß selber nicht wie. (lacht)
In Zusammenhang mit Deinem Namen erscheint häufig der Begriff ’Desert Rock’, den Du durch Deine Musik geprägt haben sollst. Was ist darunter zu verstehen?
Howe Gelb: Das haben manche Leute einfach so genannt. Ich nenne es ’Erosion Rock’. Ich bin nicht eines Tages aufgewacht und habe gedacht, dass ich ein ’Desert Rocker’ sein möchte und auch den Begriff ’Erosion Rock’ habe nicht ich erfunden. Aber dennoch: ’Erosion Rock’ macht Sinn für mich – Erosion als Sinnbild für Veränderung.
Du erwähntest bereits, dass die Bandmitglieder bei „Giant Sand“ häufig wechselten und dennoch bleibt der Name bestehen. Ist es für Dich trotzdem jedes Mal wie eine andere, neue Band?
Howe Gelb: Ja, man geht immer eine neue Verbindung mit den unterschiedlichen Energien und Herzschlägen ein. Jeder hat seinen eigenen Herzschlag. Das macht es manchmal einfacher oder schwerer, zusammen Musik zu machen. Das ist nicht ihre Schuld oder meine, sondern das passiert ganz natürlich. Ganz am Anfang haben wir noch versucht, ein Album richtig zu planen. Ich hasste den Sound dieser Aufnahme!
Seit wann existiert „Giant Giant Sand“?
Howe Gelb: Seit knapp einem Jahr. Wir haben uns zufällig an einem Abend auf einer Bühne in Berlin getroffen.
Ist das ein weiteres Projekt, oder wird „Giant Sand“ komplett durch „Giant Giant Sand“ ersetzt?
Howe Gelb: Ja, ich denke, von diesem Punkt an – was auch immer „Giant Sand“ jemals waren – ist nun „Giant Giant Sand“. „Giant Sand“ war es nun die letzten 25 Jahre und „Giant Giant Sand“ sind es die nächsten…
Euer Album heißt wie deine Heimatstadt: „Tucson“ und ist eine „Country Rock Oper“. Was hat das zu bedeuten?
Howe Gelb: Auf David Bowies Album „Ziggy Stardust“ steht nirgendwo die Behauptung, dass es eine Oper, oder eine Geschichte sei. Aber wenn man sich das Album anhört, wird man die Songs im Kopf zusammenfügen und merken, dass es eine Geschichte ist. Das habe ich auch mit dieser Platte gemacht. Zuerst gab es die Band, dann die Songs, und dann die Geschichte, die alles miteinander verbindet. Dein Geist beginnt, alle Songs miteinander zu verknüpfen. Es geht eine Geschichte vor sich und du hörst sie. Ich habe das Album in drei Teile geteilt – wie eine richtige Oper. Da es jedoch eine Pedal-Steel-Gitarre beinhaltet, ist es wohl keine Rock Oper, sondern eher eine Country Rock Oper. All das ist nicht wichtig, es ist eher Teil des Entertainments, des Einfalls und des Spaßes.
Bei dem Tempo, in dem Du Alben veröffentlichst: Ist ein neues Album bereits fertig?
Howe Gelb: Ja, es ist bereits fertig. Es ist ein Solo-Album und einige Gast-Musiker, wie z.B. Steven Jay Shelley sind auch darauf zu hören.
Vielen Dank für das Gespräch!
Interview: Marlen Schernbeck
Foto: www.smile-shoots.de
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